Gemeinden Mannheim - Ludwigshafen - Hessloch

Über den Wolken

Im ersten Buch, lieber Theophilus, habe ich über alles berichtet, was Jesus getan und gelehrt hat, bis zu dem Tag, an dem er in den Himmel aufgenommen wurde. Vorher hat er durch den Heiligen Geist den Aposteln, die er sich erwählt hatte, Anweisungen gegeben. Ihnen hat er nach seinem Leiden durch viele Beweise gezeigt, dass er lebt; vierzig Tage hindurch ist er ihnen erschienen und hat vom Reich Gottes gesprochen. Beim gemeinsamen Mahl gebot er ihnen: Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt. Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber werdet schon in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft. Als sie nun beisammen waren, fragten sie ihn: Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her? Er sagte zu ihnen: Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an die Grenzen der Erde. Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken. Während sie unverwandt ihm nach zum Himmel emporschauten, standen plötzlich zwei Männer in weißen Gewändern bei ihnen und sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen.

[Apostelgeschichte 1, 1-11]

Liebe Gemeinde, liebe Gäste,

irgendwie ist der Himmel anders geworden, meine Lieben, leerer zumindest und leiser, denn es fliegen kaum noch Flugzeuge. Wenn der Himmel sprechen könnte würde er sicher sagen: „Endlich Ruhe! Endlich keinen Lärm und keinen Dreck mehr! Endlich wieder Platz für meine Bewohner: die Vögel und die Wolken!“ Das wird sicher nicht mehr allzu lange so bleiben. Oft sitze ich auf meiner Terrasse hinter unserer blauen Kirche in der Gartenstadt und betrachte mir den Himmel und was da so los ist. Die Wolken haben es mir besonders angetan in ihrer fast unendlichen Vielfalt und Flexibilität. Sie sind groß, manchmal gigantisch und fast bedrohlich in ihrer Dunkelheit, dann wieder klein wie Schäfchen oder wie zarte, durchsichtige Schleier, strahlend weiß und dunkelgrau und am Abend oder am Morgen strahlend rot. Formen lassen sich erkennen und die Phantasie geht auf Reisen mit den Wolken und wir beginnen zu träumen. Wer möchte nicht gerne einmal mit den Wolken über das unendliche Firmament reisen …

Der Himmel ist ein Sehnsuchtsort. Ein Ort der Freiheit, wie uns der Liederpoet Reinhard May singt:

„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
Blieben darunter verborgen und dann
Würde, was uns groß und wichtig erscheint, Plötzlich nichtig und klein.“

[Reinhard May: Über den Wolken. 1973]

Der Himmel ist ein Sehnsuchtsort. Ein Ort der Liebenden, egal welcher Konstellation. Der siebente Himmel ist legendär geworden. Nicht nur ein Himmel, sondern gleich sieben, auch das singt uns ein alter Schlager:

„Ich tanze mit dir in den Himmel hinein,
in den siebenten Himmel der Liebe“.

[Aus dem Film „Sieben Ohrfeigen“ von 1937. Text: Hans Fritz Beckmann / Musik: Friedrich Schröder]

Und tatsächlich sieht man in den Augen des Menschen, den ich liebe oder von Herzen lieb Habe den ganzen Himmel und mich erfüllt ein wohliger Schauer. Der Himmel, der physische zumindest, ist für uns erreichbar geworden durch das Fahren und Fliegen mit Flugzeug und Ballon, mit Zeppelin und Raketen. Und diese Möglichkeiten haben uns auch ernüchtert: Ich sehe keinen Gott im Himmel und auch nicht im Weltall – so zumindest die russischen Kosmonauten bei der ersten bemannten Raumfahrt. Und da hilft auch die kleine Anekdote nicht wirklich weiter:

„Ich war schon oft draußen im Weltraum“, protzte der Kosmonaut, „aber ich habe weder Gott noch Engel gesehen.“ „Und ich habe schon viele Gehirne operiert“, antwortete der Gehirnforscher, „aber ich habe nirgendwo auch nur einen einzigen Gedanken gesehen.“

[Jostein Gaarder]

Es ist aber schon ein Schock gewesen für die glaubenden Menschen festzustellen, dass der Himmel tatsächlich leer ist und sich nun auf die Suche machen zu müssen, wo denn nun der Himmel eigentlich ist. Lasst uns auf die Suche danach gehen, wo der Himmel geblieben ist. Ein Anfang ist, sich den Himmel anzuschauen: Bei einem Spaziergang, beim Einkaufen, beim Ausruhen. Wirklich einmal zum „Hans oder Hanna guck in die Luft zu werden“. Wir werden Erstaunliches entdecken, vor allem dann, wenn wir unserer Fantasie und unseren Träumen freien lauf lassen. Die Jünger haben das wohl auch so gemacht, zumindest erzählt uns das die Apostelgeschichte so oder so ähnlich. Sie starrten wohl eher hinauf, als das sie schauten und was haben sie gesehen? So gut wie nichts und schon gar nicht die Himmelfahrt ihres Freundes Jesus. Sie haben eine Wolke gesehen, sonst nichts. Oder ist es gerade das, was Gott ihnen zeigen wollte: Eine Wolke? Dieses Gebilde aus Luft, Wasser und Staub. Dass so maßlos seine Form verändert und in ihrer Flexibilität und Wirkungskraft unübertroffen ist? Das gibt es fast am Himmel zu sehen. Und wenn wir auf einen hohen Berg fahren oder steigen durchqueren wir manchmal eine Wolkenschicht und sind vom Himmel umgeben und stehen auf dem Gipfel angekommen über dem Himmel. „Himmelfahrt“ – was für ein himmlischer Begriff. In der Schweiz nennen die Menschen dieses Fest „Auffahrt“, wie wir erfahren durfte, als wir mit unseren „Power People“ 2016 den Feiertag in Thun in der Schweiz begingen. Ein schönes Wort, wie ich finde, aber nicht so schön wie „Himmelfahrt“. Man kann es fast zärtlich, wie eine rosarote Wolke, hinflüstern. Vielleicht machen das die Jünger, die das ganze beobachten genau so. Und dann kommen die beiden Männer in den weißen Gewändern dazwischen – ich gehe einmal davon aus, dass es Engel gewesen sind – und fahren die Freunde Jesu ziemlich an: „Was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ Sie werden aus ihrem Erleben gerissen, aus der Zärtlichkeit der Wolke in die Realität und vielleicht klingt der Satz ihres Freundes noch in ihren Ohren nach: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Die Himmelfahrt Jesu ist nicht sichtbar, aber in diesem Satz hörbar geworden. Der Himmel ist der Sehnsuchtsort schlechthin. Aber den Himmel, den ich suche, gibt es nicht oben, nicht da, wo ihn alle zu sehen meinen, wo ihn die Dichter und Schlagersänger besingen. Der Himmel ist – voller Worte. Voll des Lobes. Voller Hoffnung. Wo Jesus mit seinem Wort ist, da ist der Himmel. Was wir in Räumen denken, was uns unendlich scheint, was immer oben, nie unten angesiedelt wird: in Wirklichkeit ist der Himmel die Gegenwart und Nähe Gottes. Selbst in den Hölle dieser Welt und in unserem Leben. Vor seiner „Auffahrt“ steht der Niedergang, das Reich des Todes, das Kleinwerden. Gott wird ein kleiner Mensch. „Seid gewiss: Ich bin bei euch, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt!“

Das Fest, das wir heute feiern, hört auf den schönen Namen „Himmelfahrt“. Für die Gegenwart Gottes, für seine Nähe und Liebe gibt es kein besseres, kein schöneres, kein treffenderes Bild als die Weite eines Himmels, der immer, egal wo ich bin, tatsächlich, nicht nur gefühlt, über mir ist. Nein, nicht nur über mir – in mir! Mit mir! Mit uns! Der Himmel wird so klein wie ich bin – und so groß, wie ihn mir Gott öffnet.

Gehen sollen wir! Aufbrechen! Nicht stehen bleiben – nicht in den Himmel starren! Das ist ein himmlisches Ereignis. Das ist der Himmel! Wie die Wolken immer neue Variationen hinbekommen, mal schnell, mal langsam, mal dunkel, mal hell, mal schwarz mal rosarot entdecken wir den Himmel. Er ist nie gleich. Festhalten, in eine Schublade stecken, ihm Grenzen setzen – das ist unmöglich – ein schönes Bild für Gott. Lassen wir zum Schluss Martin Buber zu Wort kommen:

Als Rabbi Jizchak Meir ein kleiner Junge war, brachte ihn seine Mutter einmal zum Maggid von Kosnitz. Da fragte ihn jemand: „Jizchak Meir, ich gebe dir einen Gulden, wenn du mir sagst, wo Gott wohnt.“ Er antwortete: „Und ich gebe dir zwei Gulden, wenn du mir sagen kannst, wo er nicht wohnt.“

[Martin Buber: Erzählungen der Chassidim. Zürich: Manesse-Verlag, 2014]

Himmelsleiter-Meditation

mühsam
schritt für schritt
steige ich empor
unsicher steht die leiter
manchmal wackelt sie ein wenig
schwankt hin und her
dann halte ich kurz inne
lasse meinen atem ruhig werden
dahinfließen
höre in mich hinein
schaue nicht zurück
blicke nicht nach unten
ich versuche es zumindest
und sie steht wieder ruhig
pendelt sich ein
und ich gehe weiter
sprosse für sprosse
die beiden holme
fest in den händen
dem himmel entgegen
treibt mich die sehnsucht
die sehnsucht nach dir
du – vielfältigkeit
du – ich bin da für dich
ich blicke nach oben
auf das ende der leiter
die ich
so mühevoll
so leidvoll
hinaufgeklettert bin
die freunde hatten gewarnt
das schaffst du nie
das ist weit
das ist anstregend
das ist gefahrvoll
ja das ist es
sich auf die gottheit einzulassen
das ist ein weiter weg
das ist ein anstrengender weg
das ist ein dorniger weg
das ist gefährlich
weil das du
ein immer anderes ist
und ich es immer wieder verliere
und immer wieder finde
ich bin trotzdem hinaufgeklettert
um dem himmel nahe zu sein
und am ende der leiter?
da war nichts –
außer klare luft
blau gefärbt
mit luftigen wolken verziert
ich bin nach unten gestiegen
sprosse für sprosse
die beiden holme
fest in den händen
dem himmel entgegen
der überall ist in der welt
und in meinem leben
oben und unten
denn das du
umgibt mich
ganz und gar
mit tiefer
liebender
geborgenheit

[Alexander Wischniewski, 23.05.2020]

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