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Interview zum 60. Geburtstag von Bischof Dr. Matthias Ring

23.02.2023

Aus Anlass des 60. Geburtstags von Bischof Matthias Ring sprach mit ihm Pfarrer Walter Jungbauer. Das Themenspektrum reicht von den kirchlichen Finanzen über Frauenordination und Ökumene bis hin zur Herausforderung der Säkularisierung.

Sie sind jetzt seit 13 Jahren unser Bischof. Hat sich in dieser Zeit in Ihrem bischöflichen Dienst irgendetwas ereignet, was Sie zu Beginn so niemals erwartet hätten?
Ja, etwas durchaus Erfreuliches. Ich bin gestartet in der festen Überzeugung, Bischof in Zeiten knapper Finanzen zu sein, mit allen unangenehmen Entscheidungen, die damit verbunden sein können. Damals überstiegen zum Beispiel die Personalkosten immer die Kirchensteuereinnahmen. Gekommen ist es dann sehr schnell ganz anders. Hinter uns liegen Jahre mit einer sehr guten Einnahmesituation, was sicherlich auch mit den vielen Beitritten zu tun hat. Wir konnten in dieser Zeit neue Seelsorgestellen schaffen, die vorher nicht finanzierbar gewesen wären, zum Beispiel die Pfarrstellen in Hamburg und Wilhelmshaven oder die Stelle an der Namen-Jesu-Kirche. Außerdem konnten die Gemeinden bei Baumaßnahmen massiv unterstützt werden.

Bischof Dr. Matthias Ring – Foto: © Andreas von Mendel

Stichwort „Finanzen“. So wie es aussieht, werden die Staatsdotationen in den nächsten Jahren wegfallen. Sie machen bei uns zwischen 13 und 15 Prozent des Gesamtbudgets des Bistums aus.

Man sollte sich keine Illusionen machen: Die Ablösung der Staatsleistungen wird kommen. Leider wissen wir noch nicht, wie die Lösung am Ende aussehen wird. Aber wir sollten uns darauf einstellen, dass unsere finanziellen Spielräume enger werden. Das wird Auswirkungen auf den Stellenplan haben. Ich fürchte, wir werden uns immer wieder die Frage stellen müssen, was wir uns auf Dauer leisten können und was nicht. Ich sehe für mich eine wichtige Aufgabe darin, im letzten Drittel meiner Amtszeit die kirchlichen Finanzen quasi winterfest zu machen. Von daher war es wichtig, dass sich die letzte Synode ausführlich mit den Finanzen beschäftigt hat, denn solange das Geld fließt, interessieren sich für dieses Thema nur Spezialisten.

Steht angesichts der zurückgehenden Mitgliedszahlen der Kirchen möglicherweise auch die Kirchensteuer irgendwann in Frage?

Das sehe ich in den nächsten Jahren nicht. Der Staat lässt sich diese Dienstleistung von den Kirchen und den israelitischen Kultusgemeinden, die ja auch am Kirchensteuersystem partizipieren, kostendeckend bezahlen, so dass auf staatlicher Seite mit Einsparmaßnahmen nicht argumentiert werden kann. Dass von der EU das System in Frage gestellt wird, sehe ich auch nicht, denn so einzigartig ist es nämlich nicht, wie manchmal getan wird. Auch andere europäische Länder kennen staatlich getragene Finanzierungssysteme. Allerdings ist auch klar, wenn die Zahl der Kirchenmitglieder unter ein bestimmtes Niveau sinkt, stellt sich die Frage nochmal völlig neu.

Vor allem die beiden großen Konfessionen verlieren rapide an Mitgliedern. Nicht alle davon gehen, weil sie nicht mehr an Gott glauben; vielmehr sind sie nicht mehr mit ihrer Kirche bzw. deren Verhalten einverstanden. Wir dagegen wachsen zwar, aber im Vergleich zu den Austrittszahlen erreichen wir nur einen verschwindend geringen Teil derer, für die wir unter den Austretenden möglicherweise eine neue kirchliche Heimat sein könnten. Müssen wir nicht viel offensiver und missionarischer Öffentlichkeitsarbeit betreiben, als wir es bisher tun?

Zunächst muss man zur Kenntnis nehmen, dass wir zwar erhöhte Beitrittszahlen haben, aber auch gestiegene Austrittszahlen. Für Letzteres gibt es verschiedene Gründe. Zum einen kann das schlichtweg mit dem neuen Meldewesen zu tun haben, zum anderen vermute ich auch eine geringere Kirchenbindung. Es fällt heute einfach leichter auszutreten.

Sie verwenden den interessanten Begriff „missionarische Öffentlichkeitsarbeit“ und bringen damit zwei Dinge zusammen, die ich eher trennen würde, auch wenn sie natürlich Berührungspunkte haben.

Bei der Öffentlichkeitsarbeit geht es zunächst darum, die alt-katholische Kirche bekannter zu machen. Auch wenn das manche nicht so sehen: Unsere Öffentlichkeitsarbeit ist in den letzten Jahren viel besser geworden, vor allem auf lokaler und regionaler Ebene.

Bei der Mission steht nicht die Organisation „Kirche“ im Mittelpunkt, sondern das Evangelium und der Glaube. Die Glaubensthemen spielen in unserer Öffentlichkeitsarbeit eine eher geringe Rolle (was man als Problem werten kann). Für den Glauben kann man nicht werben wie für Butterkekse – für eine Kirche schon. Bei Mission geht es auch nicht primär um Information und Überzeugen, sondern um Zeugnisgeben. Eine Gemeinde kann eine schlechte Öffentlichkeitsarbeit machen und trotzdem Zeugnis vom Glauben ablegen, wenn spürbar ist, dass die Gemeindeglieder versuchen, aus dem Glauben heraus ihr Leben zu gestalten. Deshalb glaube ich, die Frage, ob wir eine missionarische Kirche sind, die entscheidet sich in den Gemeinden.

Wie sieht eigentlich die Nachwuchssituation unserer Kirche aus? Werden wir in den nächsten Jahren noch ausreichend hauptberufliche Geistliche haben?

Das ist eine der großen Herausforderungen der nächsten Jahre, denn auch bei uns schlägt der demografische Faktor zu. Wenn Sie die geburtenstarken Jahrgänge 1962 bis 1966 anschauen, dann entfallen auf diese derzeit 17 von 47 hauptamtlichen Geistlichen. Das bedeutet, vom 1. Februar 2029 bis zum 1. Februar 2033, also innerhalb von nur vier Jahren, können 17 Geistliche in den Ruhestand treten, sofern sie dies nicht früher tun oder sie bereit sind zu verlängern. Gleichzeitig kommen kaum noch römisch-katholische Geistliche zu uns, was logisch ist angesichts des Priestermangels auf römisch-katholischer Seite. Ich führe pro Jahr allenfalls noch drei Gespräche mit Interessierten; in diesem Jahr noch kein einziges.

Wie geht die Synodalvertretung mit dieser Perspektive um?

Wir werden uns in nächster Zeit intensiv damit beschäftigen, auch mit allen Themen, die damit zusammenhängen: Kann man den geistlichen Dienst attraktiver gestalten, ohne wesentliche Merkmale preiszugeben? Wie können Geistliche besser begleitet werden? In welchen Bereichen ist es nicht nötig, dass Aufgaben von Geistlichen wahrgenommen werden. Überhaupt müssen wir uns die Frage nach den Posterioritäten stellen, also nach dem, was nachrangig ist und nicht mehr gemacht werden kann. Denn auch im Laienbereich wird es immer schwieriger, Menschen zu finden, die sich in Ehrenämtern verbindlich für einen längeren Zeitraum engagieren.

Und wie sieht es auch mit dem weiblichen Anteil beim geistlichen Nachwuchs aus?
Es wird derzeit viel diskutiert, warum der weibliche Anteil so gering ist. Ich selbst glaube, man hat sich nach Einführung des Priesteramts für Frauen der Illusion hingegeben, wir seien als Kirche nun für Frauen hochattraktiv. Als Arbeitgeber sind wir aber in gewisser Wiese ein relativ unattraktiver Arbeitgeber, auch für Männer, allein schon aufgrund unserer geografischen Situation. Wer in den Dienst des Bistums tritt, weiß nicht, in welcher Region er einmal landen wird. Attraktiv sind wir für jene, die zum Beispiel die Freiheit schätzen. In keinem Beruf kann man so frei die eigenen Schwerpunkte wählen und Neues ausprobieren wie im alt-katholischen Pfarramt. Bei Frauen kommt sicherlich noch hinzu, dass das Rollenmodell als Vorbild fehlt. Die evangelische Pfarrerin kann diese Funktion offensichtlich nicht übernehmen.

Bei den ehrenamtlichen Geistlichen sieht es übrigens besser aus, was den Frauenanteil angeht. Fast ein Drittel aller Ordinationen in meiner Amtszeit galten Frauen.

Die Ökumene der Kirchen ist ein weites Feld. Mit der Mar-Toma-Kirche sind die Gespräche zwar abgeschlossen, aber die Kirchengemeinschaft ist noch nicht geschlossen. Was ist daraus geworden? Und: Welche Gesprächsfäden zu welchen Konfessionen werden möglicherweise in den nächsten Jahren mit dem Ziel einer Annäherung aufgenommen? Wie steht es beispielsweise mit den Methodisten?

Was die Mar-Thoma-Kirche angeht, wartet die Bischofskonferenz auf einen entsprechenden Beschluss dieser Kirche. Durch den Tod des Kontaktmanns hat sich das Ganze verzögert. Daran können Sie sehen, dass es in der Ökumene oft von einzelnen, engagierten Menschen abhängt, ob es vorangeht.

Die Bischofskonferenz prüft im Moment, ob wir der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“, die 1999 vom lutherischen Weltbund und dem Vatikan unterzeichnet wurde, „beitreten“. Weitere Dialoge sehe ich im Moment nicht. Wir haben schlichtweg das Problem, dass unsere personellen Ressourcen sehr beschränkt sind.

Und wie ist der Stand im Dialog mit Rom?

Da gibt es insofern Neuigkeiten, also sich das zuständige Dikasterium die Stellungnahme zum Dokument IRAD II zu eigen gemacht hat, die Gerhard-Ludwig Kardinal Müller verfasst hat. Ich konnte das Papier noch nicht ausführlich studieren, doch mein erster Eindruck: Es gibt keinen Ansatzpunkt für weiterführende Gespräche. Ich jedenfalls sehe ihn nicht. Für Rom ist zum Beispiel die Frage der Frauenordination lehramtlich entschieden. Ich glaube, dass man die Kontakte mit der römisch-katholischen Kirche auf Orts- und Bistumsebene pflegen sollte. Da geht etwas voran.

Wir haben bereits über Herausforderungen gesprochen. Welche ist in Ihren Augen die größte?

Das, was man mit dem Begriff der Säkularisierung umschreibt. Denn zum einen – so meine Einschätzung – haben die entsprechenden Prozesse durch die Pandemie einen Schub erhalten. Selbst bis dahin treue Kirchgänger haben die Erfahrung gemacht, dass sie den Sonntagvormittag auch ohne Gottesdienst gestalten können. Zum anderen ist eine neue Qualität erkennbar. Mich hat die Aussage von zwei Religionssoziologen nachdenklich gemacht, dass es nicht mehr genügt, wenn Kirche versucht, sich auf die Bedürfnisse der Menschen mit angepassten Angeboten einzustellen, da die kirchlichen Angebote schlichtweg nicht mehr nachgefragt würden. Mir wurde im Studium noch beigebracht, der Mensch sei unrettbar religiös. Jetzt erleben wir, dass dem nicht so ist. Immer mehr Menschen sind in Sachen Religion völlig unmusikalisch – und vermissen nichts. Hinzu kommt, dass die moderne Werteorientierung kaum anschlussfähig ist an das Evangelium.

Was meinen Sie damit konkret?

Eine Jugendstudie der EKD ergab vor ein paar Jahren, dass der zentrale Wert der damals Zwanzigjährigen das eigene Ich ist, gefolgt von Familie und Freunden, diese verstanden als Netzwerke, die dieses Ich stützen. Nun sollte man nicht den Fehler machen, die Jugendlichen als egoistisch zu beschimpfen, denn diese wurden ja von Älteren erzogen, die ihnen diese Wertorientierung vermittelt haben. Aber es dürfte auch klar sein, dass der Wertekosmos des Evangeliums ein anderer ist: Da geht es um Nächstenliebe und Hingabe, um nur zwei Begriffe zu nennen.

Ich glaube, die Kunst wird darin bestehen, die Botschaft des Evangeliums in ihrer ganzen Widerständigkeit zu predigen – in verständlichen und die Menschen berührenden Worten -, aber auch selbst zu leben, und das alles, ohne belehrend aufzutreten. Eine belehrende Kirche wird heute keine Hörer mehr finden.

Ich danke Ihnen herzlich für dieses Gespräch.

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