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Bischof Matthias: Corona – auch eine theologische Krise

23.04.2021

Für Bischof Matthias Ring zieht die Coronapandemie eine theologische Krise nach sich bzw. legt eine schon vorhandene Krise offen. In seinem Bericht vor der online tagenden Gesamtpastoralkonferenz fragte der Bischof selbstkritisch, was denn Kirche theologisch zur gegenwärtigen Krise zu sagen habe. Wenn es bei der negativen Botschaft bleibe, Gott habe damit nichts zu tun, dann dürfe sich Kirche auch nicht wundern, wenn sie als nicht existenzrelevant erlebt würde.

Wörtlich sagte Bischof Matthias: „Mich treibt der Verdacht um, dass eine bestimmte Art von Theologie an ihr Ende kommen könnte, die mir persönlich durchaus nicht fremd ist, mit der ich aber immer mehr Probleme habe. In anderem Kontext habe ich von einer zumutungsfreien Theologie gesprochen, also von einer Theologie, die im guten Sinne versucht, eine Frohe Botschaft zu formulieren, aber dies nur um den Preis der Nichtintegration der Negativität des Lebens vermag.“

Die Frage, ob und was wir zu dieser existentiellen Krise zu sagen haben, werde mehr über die Zukunft des Glaubens in dieser Gesellschaft entscheiden, als all die anderen Themen, die uns außerdem noch bewegten, so der Bischof.

Den vollständigen Text aus dem Bischofsbericht finden Sie hier:

Am Allerheiligentag 1755 zerstörte ein Erdbeben zusammen mit einem Großbrand und einem Tsunami die portugiesische Hauptstadt Lissabon fast vollständig. Mit 30.000 bis 100.000 Todesopfern ist dieses Erdbeben eine der verheerendsten Naturkatastrophen der europäischen Geschichte und hatte wie keine andere in der Neuzeit Auswirkungen auf Politik, Kultur und Wissenschaft. Auf die Theologie und Philosophie wirkte es wie ein Schock und setzte das Theodizeeproblem neu auf die Tagesordnung. Wie konnte Gott so etwas zulassen, noch dazu an einem hohen kirchlichen Feiertag?

In den letzten Wochen habe ich mich oft gefragt, ob Corona – zumindest für das europäische Christentum – nicht das ist, was Lissabon 1755 war. Anders ausgedrückt: Könnte es sein, dass die Pandemie eine theologische Krise nach sich zieht? Oder zieht sie diese Krise nicht nach sich, sondern legt sie nur offen?

Im vergangenen Jahr, vor allem nach dem ersten Lockdown, haben die Kirchen oft ihre Systemrelevanz beschworen. Das habe ich schon damals für skurril gehalten, denn erstens stellt sich immer die Frage, was mit System gemeint ist. Es gibt Systeme, für die sollte Kirche gar nicht relevant sein. Und zweitens ist Systemrelevanz immer auch eine Frage des Zeithorizonts. Ich kann zum Beispiel Schulen für vier Wochen ersatzlos schließen, aber nicht für ein Jahr.

Entscheidend wäre hingegen die Frage, ob Kirche existenzrelevant ist, und das bedeutet auch – neben aller Pastoral in der Krise –, ob wir theologisch etwas zu sagen haben. Für meine Generation ist diese Pandemie das erste Ereignis, bei dem nicht das Individuum für sich, sondern eine ganze Gesellschaft eine tiefgehende Kontingenzerfahrung macht. Die ersten theologischen Deutungen, die ich dazu vor einem Jahr hörte, waren von negativer Art: Corona sei keine Strafe Gottes. Dem würde ich vorbehaltlos zustimmen, aber genügt das schon? Mich machen Stimmen nachdenklich, wie die folgende:

„Das Virus macht endgültig deutlich, wie nutzlos die Kirchen mittlerweile geworden sind. Religiös Hilfreiches zur Bewältigung der Krise war von ihnen nicht zu hören. Gleich zu Beginn der Pandemie haben es die Bischöfe auf den Punkt gebracht: Gott habe mit Covid-19 nichts zu tun. Damit schossen sie sich selbst aus allen Debatten zur Bewältigung der Krise raus. … Corona liefert den endgültigen Beweis des Übergangs der Kirchen in die Nutzlosigkeit“. (Gerhard Wegner: Jeder stirbt für sich allein, in. FAZ, 14. Januar 2021, S.12)

Der, der dies geschrieben hat, ist kein Kirchengegner, sondern der Gründungsdirektor und Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD in Hannover, Gerhard Wegner. In ihrer Schärfe sind diese Worte natürlich ungerecht und leicht angreifbar, aber sie treffen meines Erachtens einen wunden Punkt.

Wir müssen in der Geschichte gar nicht so weit zurückgehen, da hätte es an theologischen Deutungen nicht gemangelt. Als Prüfung Gottes oder als göttlicher Prozess der Läuterung wurden jahrhundertelang Seuchen, aber auch Kriege verstanden. Noch der Zweite Weltkrieg wurde in Predigten und Hirtenbriefen so eingeordnet.

Heute ist es ganz anders: Um die Seuche zu erklären, sind Virologen und Epidemiologen gefragt, ebenso Soziologen, Psychologen und Wirtschaftsfachleute, wenn es um ihre Auswirkungen geht. In der Moderne gibt es nicht mehr den Deuter, sondern eine Ausdifferenzierung der Deutungsinstanzen, doch die Kirchen oder die Theologie gehören nicht dazu.

Ich selbst habe in zwei, drei Predigten versucht, das Thema für mich zu ertasten, aber dabei gespürt, dass es keine einfachen Antworten gibt. Wenn ich es nicht beim pastoralen Trost, der seine Berechtigung hat, oder bei theologischen Belanglosigkeiten belassen will, dann wird es schwierig. Mich treibt der Verdacht um, dass eine bestimmte Art von Theologie an ihr Ende kommen könnte, die mir persönlich durchaus nicht fremd ist, mit der ich aber immer mehr Probleme habe.  In anderem Kontext habe ich von einer zumutungsfreien Theologie gesprochen, also von einer Theologie, die im guten Sinne versucht, eine Frohe Botschaft zu formulieren, aber dies nur um den Preis der Nichtintegration der  Negativität des Lebens vermag. Manche Diskussionen in unserer Kirche über Opfer und Sühne oder über liturgische Formeln wie „Herr, ich bin nicht würdig“ oder die Vaterunser-Bitte zur Versuchung sehe ich heute mit anderen Augen. Ich frage mich, was man in solchen Situationen wie der gegenwärtigen in der Hand hat, wenn man aus dem theologischen Handwerkskasten Begriffe wie „Kreuz“ und „Opfer“ entfernt. Eine Theologie der reinen Positivität scheint mir immer mehr eine Schön-Wetter-Theologie zu sein, die nur bedingt einen Beitrag zur Kontingenzbewältigung leisten kann. Für Kirche, Theologie und Glaube stellt sich dann nicht mehr die Frage nach der Systemrelevanz, sondern die viel entscheidendere nach der Existenzrelevanz.

Einem Freund gegenüber habe ich neulich telefonisch beklagt, dass die Theologie nichts oder wenig Brauchbares zur Pandemie zu sagen habe. Bei einem späteren Telefonat kam er noch einmal darauf zurück. Ihm sei erst danach eingefallen, dass ich ja auch Theologe sei; ob ich denn auch nichts zu sagen hätte. – Diese Situation beschreibt meine eigene Ratlosigkeit sehr gut. Und dennoch frustriert mich diese Ratlosigkeit nicht, denn ich sehe in der offenen Frage eine spannende Herausforderung. Vielleicht, so meine derzeitige Vermutung, wird die Frage, ob und was wir zu dieser durchaus existentiellen Krise zu sagen haben, mehr über die Zukunft des Glaubens in dieser Gesellschaft entscheiden, als all die anderen Themen, die uns außerdem noch bewegen.

Bischof Dr. Matthias Ring

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