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Feiertag 8. Mai?

Liebe Gemeindemitglieder, liebe Gäste,

in der letzten Woche war es 75 Jahre her, dass die Deutsche Wehrmacht nach dem Zweiten Weltkrieg kapitulierte. Anlässlich dieses Ereignisses waren im Fernsehen viele Sendungen zu sehen, die über den Krieg und die Konzentrationslager berichteten. Wie immer ließen sie bei mir große Fassungslosigkeit zurück. Obwohl ich längst weiß, was damals geschehen ist, scheint mein Denken und Fühlen damit überfordert zu sein, das ungeheure Ausmaß dieser brutalen NS-Verbrechen wirklich begreifen zu können.

In Berlin ist der 8. Mai in diesem Jahr einmalig zum Feiertag erklärt worden und es ist eine Diskussion um die Frage entstanden, ob dieser Tag zukünftig in ganz Deutschland Feiertag sein sollte. Eine Frage, die man durchaus diskutieren sollte – nicht nur, weil diese Forderung gerade von einer Überlebenden des Holocaust sehr in den Focus gerückt wurde. Zwei Kommentatoren haben sich mit dieser Frage auseinandergesetzt:

Pro Feiertag 8. Mai

Ein Kommentar von Christoph Rieke (n-tv)

Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa jährt sich zum 75. Mal, doch nur Berlin würdigt den Nazi-Kollaps mit einem Feiertag. Das ist beschämend. Der Tag der Befreiung verdient dauerhaft mehr Bedeutung in ganz Deutschland. Die Freude in Berlin ist groß, denn ausnahmsweise und bundesweit exklusiv haben die Menschen in der Hauptstadt heute frei. Der Grund liegt 75 Jahre zurück. Die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 beendete den Zweiten Weltkrieg in Europa. Es ist bedauerlich, dass der heutige freie Tag in der Hauptstadt eine landesweite Ausnahme ist – denn der Tag der Befreiung sollte ein Feiertag in ganz Deutschland sein. Und das in jedem Jahr.

Es ist tragisch und eine Frechheit des Schicksals, dass das Jubiläum in diesem Jahr von der Coronavirus-Pandemie überschattet wird. Dass in der schnelllebigen Welt aus dem Blick zu geraten droht, was sich vor mehr als sieben Jahrzehnten zugetragen hat. Wer aber die Erinnerung an die deutsche Todsünde des Nationalsozialismus verdrängt, läuft Gefahr, die historischen Fehler zu wiederholen. Der 8. Mai als Feiertag wäre ein wirksames Instrument, dem entgegenzuwirken.

Niemals dürfen die Verbrechen des Nationalsozialismus in Vergessenheit geraten – erst recht nicht in Zeiten, in denen Neonazis wieder in Deutschland morden und manche Politiker wieder ein bizarres Abwägen von lebenswertem und vermeintlich weniger lebenswertem Leben anregen. Wer zudem von einem „Tag der absoluten Niederlage“ schwadroniert, betreibt nichts weniger als hochgefährliche Geschichtsverzerrung. Solange derlei Dinge geschehen, entbehren auch Gedankenspiele über eine Schlussstrichdebatte jeglicher Grundlage.

Der 8. Mai als Feiertag darf allerdings keinesfalls dazu dienen, die Mehrheit der Deutschen von damals pauschal freizusprechen. Schließlich war sie es, diese Mehrheit, die nationalsozialistische Verbrechen ermöglichte und beging. Kritiker nehmen die Bezeichnung der Befreiung gern zum Anlass, um Taten von Nazis und Sowjets im historischen Kontext gegeneinander aufzuwiegen. Doch darum geht es an diesem Jahrestag nicht. „Der 8. Mai 1945 hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“, erinnerte Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker in seiner berühmten Rede von 1985. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Der Tag der Befreiung ist ein wichtiger Tag für Deutschland. Er war ein Wendepunkt in einem mit Hass aufgewachsenen Jahrhundert. Umso irritierender ist es, dass ihm selbst am 75. Jubiläum nur so wenig Aufmerksamkeit zukommt. Mehr noch: Es ist beschämend.

Einzig in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen ist er dauerhaft ein Gedenktag. Doch wie wirksam sind Gedenktage, wenn sie nur auf dem Kalenderblatt, nicht aber im realen Leben aller manifestiert sind? Deshalb muss der 8. Mai zum bundesweiten und dauerhaften Feiertag erhoben werden. Der von Hitler-Deutschland ausgehende Zweite Weltkrieg hat veranschaulicht, wohin Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Fanatismus führen. Noch bieten sich einige wenige Gelegenheiten, das Jubiläum des Kriegsendes gemeinsam mit den Befreiten von damals zu feiern. Allein sie haben diesen Feiertag verdient.

Contra Feiertag 8. Mai

Ein Kommentar von Andrea Nüsse (Tagesspiegel)

Ist der 8. Mai für uns Deutsche ein Feiertag oder ein Gedenktag? In diesem Jahr ist er beides. Zum 75. Jahrestag der deutschen Kapitulation hat Berlin ihn einmalig zum Feiertag erhoben.

In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ist er seit Jahren offizieller Gedenktag. Und die Stimmen mehren sich, diesen Tag dauerhaft zu feiern.

Wir Deutsche tun uns schwer mit unseren nationalen Feiertagen. Viele Völker feiern ein Ereignis, zu dem sie eine positive emotionale Bindung besitzen, das ihre Kultur prägt und die Nation eint. In der Bundesrepublik dagegen hatte man mit dem 17. Juni die Niederschlagung des Volksaufstandes in der DDR 1953 gewählt – eher ein Gedenk- als ein Feiertag.

Im wiedervereinigten Deutschland ist, ohne größere Diskussion, ein Verwaltungsakt zum Nationalfeiertag erhoben worden: der 3. Oktober, an dem der Einigungsvertrag in Kraft trat. Viele Ostdeutsche waren nicht glücklich darüber, wie die Wiedervereinigung verlief und fremdeln daher auch mit diesem Datum, das erst durch den Feiertag Eingang in das kollektive Gedächtnis fand.

Und nun der 8. Mai. Die ersten Maitage sind eine historische Zäsur für Deutschland und Europa. Symbolisch stehen sie für das Ende des Zweiten Weltkriegs, das Ende Nazi-Deutschlands und des Holocaust.

Formal sind der 7. sowie der 8./9. Mai die Tage der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, einmal in Reims und anschließend in Berlin-Karlshorst unterzeichnet, mit der ein deutscher Eroberungs- und Vernichtungskrieg beendet wurde, der über 50 Millionen Menschenleben kostete.

Der 8.Mai wird bereits gefeiert – von den damaligen Siegern

Ein Grund zum Feiern – für jene Nationen, die einen extrem hohen Preis dafür gezahlt haben, das von Deutschen geschaffene Nazi-Regime zu stürzen, für jene, die aus den Konzentrations- und Arbeitslagern befreit wurden und für alle Deutschen, die danach in einem freien Land leben durften. Und so wird der Tag bereits gefeiert: Die Franzosen begehen den „Tag des Sieges“ am 8. Mai, Russland feiert ihn am 9. Mai, die Niederländer das Ende der Besatzung bereits am 5. Mai.

Als Deutsche sind und bleiben wir dankbar, dass viele Länder so große Opfer brachten, um die Deutschen – auch gegen ihren Willen – aus der Diktatur zu befreien. Und Krieg und Massenmord zu beenden. Um uns anschließend großzügig beim Wiederaufbau und bei der Neuausrichtung auf ein demokratisches Gemeinwesen zu unterstützen.

Die Deutschen waren die Täter, diesen Unterschied sollte man nicht verwischen

Wir sollten es dabei belassen, dass die Sieger den Tag feiern und die Deutschen sich in Demut daran erinnern, dass sie eben Täter waren; dass die meisten Deutschen den Nationalsozialismus mit zu verantworten und bis zuletzt mitgetragen haben.

Diese Unterschiede sollte man nicht verwischen. Ein Grund, warum der 8. Mai in Deutschland ein offizieller Gedenktag sein sollte – aber kein Feiertag. Ein Gedenktag ist zudem viel geeigneter als ein Feiertag, sich mit der belasteten und belastenden Geschichte auseinanderzusetzen. Bei Feiertagen besteht die Gefahr, dass aus Harmoniebedürfnis schwierige und widersprüchliche Geschehnisse ummantelt werden. Das genau wollen wir nicht.

Die Deutschen haben, wenn auch spät, begonnen, sich mit diesem lange ambivalenten Datum auseinander zu setzen. Nach jahrzehntelangem staatlichem Schweigen war es ein langsames Herantasten. Es ist das Verdienst des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, den Jahrestag 1985 zum Tag der Befreiung für die Deutschen umgewertet zu haben. Hinter diesen gesellschaftlichen Grundkonsens gibt es kein Zurück. Wenn der AfD-Politiker Gauland gegen den 8. Mai als Feiertag plädiert, weil dies der Tag einer „totalen Niederlage“ und nur für KZ-Insassen ein Tag der Befreiung gewesen sei, dann irrt er gewaltig.

1945 wurde der 8. Mai von den Deutschen wohl unterschiedlich empfunden. Aber die „befreiende Niederlage und die rettende Zerstörung“ (so der Historiker Martin Sabrow) waren für die Deutschen die Grundlage zum Aufbau der liberalen und demokratischen Gesellschaft, in der wir heute leben. Für diese Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte wird ein Gedenktag 8. Mai auch weiter dienen. Daraus einen Feiertag „gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung jeglicher Form“ zu machen, wie es beispielsweise der DGB-Vorsitzende fordert, ist zu diffus.

Ein Tag, auf den wir stolz sein können, ist der 23. Mai

Gedenken wir also weiter am 8. Mai. Sollten wir Deutschen wirklich einmal wieder nach einem geeigneten nationalen Feiertag suchen, dürften wir getrost auch einmal eine positive Entwicklung feiern: Unser großartiges Grundgesetz mit seinem Artikel eins „Die Würde ist unantastbar“, das am 23. Mai 1949 verkündet wurde. Hier sind die richtigen Schlüsse aus unserer teils unheilvollen Geschichte, vor allem der Weimarer Republik, eingeflossen – darauf können wir stolz sein.

Liebe Gemeinde, liebe Gäste,

es gibt viele Argumente, für oder gegen einen Feiertag am 8. Mai. Auch wenn ein solcher Feiertag nicht automatisch dazu führen wird, dass die Erinnerung an die Unmenschlichkeit und die Verbrechen des NS-Regimes in unserem Land lebendig bleiben, so erhöht aus meiner Sicht ein solcher Feiertag aber die Chancen dazu. Und diese Erinnerung sollte auf keinen Fall verloren gehen, wenn es in nur wenigen Jahren keine Zeitzeugen mehr geben wird.

Für mich geht es bei der Notwendigkeit der Erinnerung nicht um die Frage von „Schuld“ oder sich „schuldig fühlen“ – denn schon meine Eltern wurden nach dem Krieg geboren – sondern um die Frage der Verantwortung dafür, dass sich solch ein Regime und solche Verbrechen nicht wiederholen werden. Max Mannheimer, ein Holocaust-Überlebender, brachte diese Verantwortung in seinem bekannten Satz zum Ausdruck: “Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.”
Der Karfreitag macht deutlich, dass nicht jeder Feiertag sich dazu eignen muss, überschwänglich und ausgelassen zu feiern, sondern auch den Schwerpunkt eines Gedenkens haben kann. Für mich persönlich macht es Sinn, den 8. Mai zu einem bundesdeutschen Feiertag als „Tag der Befreiung“ zu erheben. Als Erinnerung an die Befreiung der Opfer des Nationalsozialismus, aber auch als Erinnerung daran, dass der 8. Mai für unser Land die Befreiung aus Diktatur und Terrorregime bedeutete. Wenn heute noch von manchen Parteien behauptet wird, dass der 8. Mai ein Tag der totalen Niederlage gewesen sei, dann wird deutlich, wie wichtig ein Nachdenken darüber ist, was der 8. Mai 1945 für unser Land und unser Leben in Freiheit bedeute. Keine Frage, für viele Menschen damals mag er sich sicherlich wie eine Niederlage angefühlt haben, aber nach der Reflektion von 75 Jahren sollte heute deutlich sein: der Tag der totalen Niederlage unseres Landes war der 30.01.1933!

Das Gedicht „Die andere Möglichkeit“ von Erich Kästner bezieht sich zwar auf den ersten Weltkrieg, kann aber durchaus auch im Lichte des zweiten Weltkrieges gelesen werden:

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
mit Wogenprall und Sturmgebraus,
dann wäre Deutschland nicht zu retten
und gliche einem Irrenhaus.

Man würde uns nach Noten zähmen
wie einen wilden Völkerstamm.
Wir sprängen, wenn Sergeanten kämen,
vom Trottoir und stünden stramm.

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wären wir ein stolzer Staat.
Und pressten noch in unsern Betten
die Hände an die Hosennaht.

Die Frauen müssten Kinder werfen,
Ein Kind im Jahre. Oder Haft.
Der Staat braucht Kinder als Konserven.
Und Blut schmeckt ihm wie Himbeersaft.

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wär der Himmel national.
Die Pfarrer trügen Epauletten
Und Gott wär deutscher General.

Die Grenze wär ein Schützengraben.
Der Mond wär ein Gefreitenknopf.
Wir würden einen Kaiser haben
und einen Helm statt einem Kopf.

Wenn wir den Krieg gewonnen hätten,
dann wäre jedermann Soldat.
Ein Volk der Laffen und Lafetten!
Und ringsherum wär Stacheldraht!

Dann würde auf Befehl geboren.
Weil Menschen ziemlich billig sind.
Und weil man mit Kanonenrohren
allein die Kriege nicht gewinnt.

Dann läge die Vernunft in Ketten.
Und stünde stündlich vor Gericht.
Und Kriege gäb’s wie Operetten.
Wenn wir den Krieg gewonnen hätten —
zum Glück gewannen wir ihn nicht!

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