Position zum Papier „Selbstverständnis der Alt-Katholischen Kirche“

Die Frage nach dem „Grundkonsens zum Selbstverständnis“ der Alt-Katholischen Kirche
ist eine grundlegende Frage, darum möchte ich gerne zu dem vorliegenden Papier eine
eigene Position markieren, die mir für eine Arbeit an einem Selbstverständnis wichtig sind.
Meine Position beziehe ich im Wesentlichen aus der Arbeit von Professor Dr. Gregor Maria
Hoff, Fundamentaltheologe und Ökumeniker der Universität Salzburg, wie er sie in seinem
Buch „Ekklesiologie“ (Gegenwärtig Glauben Denken Band 6), Paderborn 2011 formuliert
hat. Im Folgenden zitiere ich aus diesem Buch unter Angabe der Seitenzahlen. Es geht mir darum, Markierungen zu benennen, d.h. sie bieten kein ausformuliertes Selbstverständnis. Vielleicht kann die eine oder andere Markierung auf dem Weg hilfreich sein.

Zunächst ein kritische Einwand:

  • gegen einen Bezug auf die „Aufklärung“ („Übernahme der Ideen der Aufklärung“ Seite 2)
  • mit ihr auf deren Werte („Alt-Katholik*innen in besonderer Weise den Werten der Moderne
    verpflichtet …“ Seite 3)

Zum Selbstverständnis der Kirche: Meiner Überzeugung nach eignet sich ein Bezug auf die „Aufklärung und deren Werte“ nicht als eine Grundlage des Selbstverständnis der Alt-Katholischen Kirche. Im Grauen der Shoa hat sich ein Scheitern der Aufklärung mit ihren Werten, ein Umschlagen in ihr ganzes Gegenteil gezeigt. Desweiteren: So singulär die Shoa ist, so ist sie trotz aller „Aufklärung“ über deren Entstehen und Hintergründe bis heute nicht einmalig geblieben, sondern wider besseres Wissen wiederholt sich solches Grauen in Massenvernichtungen und Gewalttaten. Die mit der Aufklärung einsetzende geistige und zivilisatorische Entwicklung hat Auschwitz nicht verhindert, sondern sie hat zu ihrer Ermöglichung beigetragen. Mit dem Bruch von Auschwitz hat sich auch der„Fortschritt“ im Sinne einer kontinuierliche Verbesserung, Weiterentwicklung, als „Aufstieg des Geistes“ – sei es im gesellschaftlichen oder politischen Bereich – selbst widerlegt. „Daß es geschehen konnte inmitten aller Tradition der Philosophie, der Kunst und der aufklärenden Wissenschaften, sagt mehr als nur, daß diese, der Geist, es nicht vermochte, die Menschen zu ergreifen und zu verändern… Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll“ (Adorno, Negative Dialektik, 359).

Diese Kritik trifft auch das Christentum. Auch eine zweitausendjährige christliche Sozialisation hat Auschwitz und hat andere Vernichtungen von Menschen in großer Zahl, Rassismus, Entmenschlichung nicht verhindert, sondern ihnen noch Begründungshilfen geliefert. Emmanuel Levinas sagt im Gespräch mit Bischof Hemmerle: „Vor allem: das Christentum hat sie (die Christen, B.B.) als Menschen nicht von dem zurückgehalten, was sie taten – auch nicht vor dem Holocaust…. Alle, die Auschwitz verübt haben, waren doch als Kinder getauft, protestantisch oder katholisch. es war ihnen dennoch nicht verboten, das zu machen“ (Hemmerle, Judentum 2). Was der glaubwürdigen Gottesrede verloren ging, bringt Elie Wiesel auf den Punkt, wenner sagt: „Der nachdenkliche Christ weiß, daß in Auschwitz nicht das jüdische Volk, sondern das Christentum gestorben ist.“ Darum kommt Adorno zu dem Schluss: „Kein vom Hohen getöntes Wort, auch kein theologisches, hat unverwandelt nach Auschwitz ein Recht“ (Adorno, Negative Dialektik, 360). Ich beschränke mich hier auf diese Hinweise, ausführlicher ist dies bei Adorno nachzulesen.

Ein fundamentaler Beitrag für ein Selbstverständnis der Kirche ergibt sich aus dieser Kritik Adornos: Jedes Selbstverständnis, d.h. jede „Identität“ von Kirche durchzieht von nun an dieser Bruch ihres Scheiterns – also „Differenz“.

Zur Beschreibung eines Selbstverständnisses der (Alt-Katholischen) Kirche:

Konstitutiv für ein Selbstverständnis der Kirche scheint mir zu sein, dass ihre „Identität“ nur in „Differenz“ zu fassen ist.

1. Eine erste fundamentale Differenz ist die zwischen der „einen Kirche Jesu Christi“(wie sie die ntl. Schriften fassen) und der konfessionellen Kirche (sei es die römisch-katholische,evangelische, altkatholische oder orthodoxe). Jede einzelne konfessionelle Kircherichtet sich am Sinn der wahren Kirche Jesu Christi aus, ist aber nicht einfachhin mitihr identisch (vgl. Hoff 15).„Die Kirche im Singular ist im Plural ihrer ausdifferenzierten geschichtlichen Gestalten vordie Frage gestellt, wo die wahre Kirche Jesu Christi sei“ (Hoff 32).„Die Idee der Einheit der Kirche entwickelt sich aus ihrer gegebenen Pluralität heraus, dieaber zugleich auf der Basis des Glaubens an das Wirken des einen Heiligen Geistes eineeigene Gemeinschaftserfahrung konstituiert“ (Hoff 54).

  1. Kirche der Glaubenden und Zweifelnden, der Internen und Externen:
    Hoff macht mit Nachdruck darauf aufmerksam, wie grundsätzlich zur Kirche nicht nur die
    Internen, sondern auch die Externen gehören:
    „Deshalb ist die Kirche nicht nur die Gemeinschaft derer, die glauben, sondern zugleich
    muss sie aus theologischen Gründen zum Asyl aller werden, die zweifeln, suchen,
    glauben wollen, hoffen auf das, was das Leben Jesu verspricht und verbürgt: dass Gott
    Liebe ist. Das Sentire cum Ecclesia schließt diese Solidarität ein. Sie übersteigt die Grenzen
    rechtlich umschriebener Kirchenzugehörigkeit…
  • Wie ist die Kirche mit denen verbunden, die nicht getauft sind und nicht in der sichtbaren
    Gemeinschaft mit der (römisch-katholischen, alt-katholischen, evangelischen, orthodoxen)
    Kirche stehen?
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  • Welchen Stellenwert besitzt das abweichende Christusbekenntnis und Glaubenszeugnis
    der kirchlichen Dissidenten für die Kirche selbst?
  • Was fehlt ihr ohne sie?
  • Welchen Wahrheitswert vertreten sie, den die Kirche so nicht zum Ausdruck bringt, weil
    sie nicht alles sagen kann?
  • Wie weit reicht die Solidarität der Glaubenden mit den Nichtglaubenden – zumal mit
    denen, die glauben wollen und es nicht können?
  • Was bedeutet der eigene Unglaube im Glauben (Mk 9,24) für die Kirche, die aus diesen
    Menschen besteht?“ (Hoff 12f.)

„Die Außenperspektiven auf die Kirche und ihren Glauben bilden dabei kein bloßes Gegenüber,
sondern sind konstitutiv mit ihr verwoben.“ Sie müssen ekklesiologisch als Weltund
Sprachräume des Glaubens zur Geltung kommen, in gespannter Wechselwirkung mit
den Innenperspektiven. Insofern besteht die Identität der Kirche in und aus Differenzen.
Deshalb ist sie umstritten“ (Hoff 13).
„Differenzmuster prägen sie: Was Kirche bedeutet, nimmt im Zueinander von fremder
Perspektive und eigenen Interpretationen Konturen an. Der Außenblick auf die Kirche
zeigt dabei ihre Wirklichkeit im Spiegel alternativer Wahrnehmungsmöglichkeiten …
“ (Hoff 17).
„Dabei kann gerade die externe Wahrnehmung auf eigene Weise zu einem neuen Verständnis
der kirchlichen Binnensicht, der vertrauten Deutungen beitragen. Deshalb besitzen
die außertheologischen Codierungen von Kirche ein eigenes theologisches Recht“
(Hoff 20).
Ekklesiologische Glaubwürdigkeit zeigt sich so: „In ihren Spannungsmomenten ist Kirche
überzeugend, weil sie diese nicht auflöst“ (Hoff 13).
Hoff kommt zu dem Schluss, … dass sich die Identität der Kirche in ihrer Fähigkeit zur
Einschließung aller Menschen in den Lebensraum Gottes zeigt“ (Hoff 46)
„Kirche koordiniert eine grenzüberschreitende Gemeinschaft, die darauf ausgerichtet ist,
grenzenlos zu sein“ (Hoff 19).
„In dem, was Kirche oft genug nicht ist, kann Gott umso nachdrücklicher zur Sprache
kommen. Das ist der prekäre, aber unaufgebbare kirchliche Sinn der Rede von der Felix
culpa“ (Hoff 98).
„Die eschatologische Begründung und Ausrichtung des Herrenmahls als Identitätsmarker
der Kirche legt sie auf die eschatologische Einschließung aller Menschen in dieses erlösende
Geschehen fest. Die Handlungslogik der Kirche ist darauf verpflichtet. Kirche darf
keine Ausschließungen ethnisch-religiöser ode gesellschaftlicher Art einführen, die von
Jesus überwunden wurden“ (Hoff 109).
Wenn ich es richtig sehe, suchen viele nicht kirchlich gebundene Menschen oder aus Kirchen
ausgetretene Menschen den Kontakt zur altkatholischen Kirche. Ist gerade dieser
Bezug zu den „Externen“ und „Exkludierten“ ein Merkmal der altkatholischen Kirche, ein
locus theologicus zur Bestimmung ihres Selbstverständnisses?

  1. Kirche als Pilgerin, als Kirche unterwegs:
    Hoff fasst ein Merkmal der altkatholischen Kirche, nämlich dass sie von vielen Suchenden
    angesteuert wird, ohne dass sie unbedingt zu Kirchenmitgliedern werden, mit dem Bild
    der Pilgerin.
    „Die postmoderne religiöse Existenz des „Pilgers“ bewegt sich zwischen Bekenntnisgemeinschaften
    und überschreitet ihre institutionellen Grenzen, indem sie diese in der eigenen
    Spiritualität neu bestimmt. …
    Eine neue Form kirchlicher Existenz formiert sich zwischen den Kirchen, etwa in konfessionsverschiedenen Ehen oder ökumenischen Initiativen …“
    Kirche ist unterwegs. Sie legt ein Netz von Orten und Beziehungen an, das in anhaltender Verbindung, in einer fortlaufenden Kommunikation seine Dauer verbürgt. Kirche am Anders-Ort des Internets: Spätestens seit der durch die Corona-Krise angestoßenen verstärkten Präsenz der Kirche im Internet wird bewusst, wie der „Anders-Ort“ des Internets zum „Ort der Kirche“ geworden ist. Das Internet ermöglicht gerade denen, die sich mit Distanz der Kirche nähern wollen, niedrigschwellig Teilhabe am kirchlichen, gemeindlichen, liturgischen Leben. Mit Internetangeboten werden Menschen erreicht, die ohne diese Möglichkeit nicht erreicht würden.
  1. Kirche als kritische Begleiterin:
    „Die Kirchen haben die Möglichkeit, die Prozesse einer paradoxen Säkularisierung kritisch
    zu begleiten und auf diese Weise an den öffentlichen Diskursen teilzunehmen. Christliche
    Humanität als ein Motor der Säkularisierung lässt sich als deren Begrenzung
    kommunizieren,
  • wo die Ausdifferenzierung säkularer Gesellschaften in eine „Kolonialisierung der Lebenswelt“
    umschlägt;
  • wo die Ökonomie zum neuen Sakralraum von Heilsversprechen und -erwartungen
    wird;
  • wo die Ausdifferenzierungen der Arbeitswelt in Politiken der Ausgrenzung münden
    oder sie sogar voraussetzen;
  • wo die Medizinisierung des Lebens die Zugänge zum Leben über die Funktionen, Leistungsfähigkeit,
    Einsetzbarkeit, Verwendung des Menschen steuert. (Hoff 41f.)

5. „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“:Der Wechsel von einem Identitäts-Verständnis zu einem Differenz-Verständnis ist auch miteiner Angst vor dem Anderen, dem Fremden verbunden. „Der Raum der Angst, den Religionenerschließen und bearbeiten, konfrontiert mit dem Unsagbaren“ (Hoff 21).Zum Selbstverständnisses von Kirche gehört demnach, sich mit dem Anderen, demFremden und der damit ausgelösten Angst auseinanderzusetzen, sich zu ihr zu positionieren.Dieses Thema ist ja in unserer Gesellschaft höchst aktuell. Es ist mit Ängsten vor„Identitätsverlust“ (siehe die „rechte Szene“) verbunden. Auch Gemeinden stellt sich dieFrage nach Identität und -verlust. Sich seines Selbstverständnisses zu vergewissern, ist jaauch ein Hinweis auf Identitätsvergewisserung. Hier gälte es m.A.n. sich ehrlich zu machen,dass Identität nur in Differenz möglich ist und dementsprechend Unsicherheit, Fragekonstitutiv dazu gehören.

  1. Kirche als Raum der Menschenliebe Gottes:
    „Eine markante theologische Differenz vermittelt die Identität der Kirche. Sie ist notwendig
    als Zeugnis von der unbegrenzten, universalen Menschenliebe Gottes, aber sie beschränkt
    sie nicht. Wie die Liebe Gottes so ist auch die Kirche nicht exklusiv“ (Hoff 47).
    „Die Kirche stellt jeden einzelnen in einen biographischen Zusammenhang mit der Geschichte
    Jesu, weil sie sich im Leben der Christen fortsetzt“ (Hoff 84).
    „Kirche durchbricht als Instrument des Reiches Gottes die gegebenen Machtverhältnisse.
    Ausschließungen beantwortet sie mit der Partizipation aller: der Marginalisierten dieser
    Welt, der armen und entrechteten, der kranken und alten Menschen“ (Hoff 290)
  1. Kirche als messianischer Lebensraum:
    „Kirche steht vor der Aufgabe, den abwesenden Herrn zu vergegenwärtigen“ (Hoff 261).
    Wiederum ist kirchliche Identität gekennzeichnet von der Differenz „Präsenz des Herrn“
    zu sein, der zum Vater zurückgekehrt ist, bis er wiederkommt.

Vielleicht ist der eine oder andere Gedanke hilfreich bei der Suche nach einem Selbstverständnis.
Ihnen herzliche Grüße!
gez. Bernd D. Blömeke

Zu den weiteren Stellungnahmen:

… und den Herdenbrief.

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