Kirche in und für die Welt
Ein pfingstlicher Zwischenruf zum „Herdenbrief“


Liebe Autorinnen und Autoren des Herdenbriefes,
ich habe euren „Herdenbrief“ gelesen und kann -ehrlich gesagt – nicht so viel damit anfangen. Natürlich ist das alles richtig, was da drinsteht. Aber es ist auch nicht neu. Wir drehen uns wieder um uns selbst. Noch mal die Namensklärung, noch mal die Geschichte, wo wir herkommen, noch mal die Beschwörung der guten Traditionen, der revolutionären „alten“ Wurzeln des Christentums, des Humanismus, der Aufklärung, der Franz. Revolution. Und dann nennen wir das auch mutig „Herdenbrief“. Ich assoziiere damit eher „Hammelherde“, die hinter einem Hirten herläuft, obwohl wir ja synodal verfasst sind. Wir leben auch nicht mehr in einer agrarischen Welt, in der ein guter Hirte noch ein positives Vorbild war, sondern wir leben in einer bedrohten Welt, bedroht von Kriegen, von erschreckender Ungerechtigkeit, von Bedrohungen der Demokratie, von der Zerrissenheit unserer Zivilgesellschaft und der zunehmenden Bedeutungslosigkeit fast aller Kirchen bei gleichzeitig fanatischem Missbrauch des Namen Gottes, auch in den drei abrahamitischen Religionen. Da kann ich mich nur an dem Bild eines „guten Hirten“ orientieren, weil ich weiß, dass der Hirte, den wir damit meinen, Jesus, ein „unglaubliches Gottvertrauen“ hatte und aus dieser Kraft heraus sich in die Niederungen der damaligen Gesellschaft begab und sich damit zwischen alle Stühle setzte, die es auch damals gab: und auf diesen Stühlen saßen, damals wie heute, die verachteten Randgruppen und die vornehmen, angeblich besseren Leute, da saßen die damaligen religiösen Machtfanatiker, die politischen Besatzer und die Indifferenten, die sich auch damals für nichts interessierten als ihren privaten Vorteil. Damals, in einer Welt der Tierhaltung und der Agrarwirtschaft verstand man, was ein guter Hirte war. Aber heute, in der Zeit einer industrialisierten Landwirtschaft, in einer digitalisierten, globalen Zeit, in der die soziale Kommunikation meistens über asoziale Medien läuft und Populismus und damit autoritäre Muster in der Politik in Blüte stehen, da kommen mir andere Vorbilder in den Sinn: „grenzenlose Ärzte“, die etwas riskieren, engagierte Sozialarbeiter, die auch dann nicht resignieren, wenn fast alles sinnlos erscheint, oder eine Krankenschwester, die auch nach einer 8-Stunden-Schicht noch ein Lächeln für ihre Patienten übrig hat und prophetische Christinnen und Christen, die sich einmischen in eine Welt, die aus den Fugen zu geraten droht, wenn man die Komfortzone der Mittelschicht und auch die Komfortzone unserer alt-kath. Kirche einmal verlässt bzw. über unseren Tellerrand schaut.

Die Frage lautet: Haben wir den Mut, inmitten dieser geschundenen und bedrohten Welt Partei zu ergreifen für mehr Zusammenhalt und Gemeinsinn, für eine „Wende zum Weniger“ statt zerstörerischer Gigantomanie, für mehr Gerechtigkeit und Frieden? Es gibt Wege, es gibt fast immer Wege, manchmal nur Auswege, aber das ist besser als Resignation und Nichtstun. Etwas tun und sich einmischen – damit meine ich nicht kurzatmigen Aktionismus, sondern aus dem Geist Gottes heraus und mit ihm die Welt sich nicht alleine und den Marktgesetzen zu überlassen, sondern mit Kraft und in aller Demut mitzugestalten versuchen. Dazu braucht es immer einen langen Atem und dazu braucht man die Geborgenheit in Gott, sonst hält man das gar nicht aus. Aber weiter auf uns selbst zu gucken, dazu habe ich nicht soviel Antrieb. Ich finde, wir wissen allmählich, wer wir sind. Aber wir sollten stärker überlegen, was wir noch vorhaben bzw. ob wir überhaupt noch etwas vorhaben. Wenn wir nicht Gemeinde vor Ort sind und Kirche in und für die Welt, dann machen wir uns tatsächlich bedeutungslos. „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts.“ Diesen Satz des französischen Bischof Gaillot zitiert mein Heimatpfarrer gelegentlich. Und ich finde, er hat Recht. Ich würde noch etwas präzisieren: Eine Kirche, die den vielfältig Verlorenen (meinetwegen auch den verlorenen Schafen) in dieser Welt nicht dient, dient zu nichts. Haben wir den Mut, auch Strukturen dieser Welt zu benennen und zu kritisieren, die die Verlorenheit der Menschen weiter festschreiben: ihre Einsamkeit, ihr erfahrenes soziales Unrecht, ihre Erfahrung von Gewalt und Perspektivlosigkeit.

Natürlich müssen wir dann auch Wege dieser Einmischung suchen und gehen, sozusagen eine Gegenkultur betonen, die christlichen Gegenbilder und Gegen-sprache gegen Hass und Gewalt Dabei werden wir uns vielleicht auch streiten müssen. Aber wir haben ja das „Privileg“, dass wir uns christlich streiten, also in der Sache hart, aber in der Form fair und respektvoll und dass unsere gemeinsame Basis des Gottvertrauens uns trägt.

Ich habe vor einiger Zeit, genauer gesagt in „Christen heute“ (6/2023) mal einen Vorschlag gemacht, wie man vielleicht den Zusammenhalt in unserer gespaltenen Gesellschaft wieder stärken kann. Das sollte nur e i n Beispiel sein, dass wir über die Welt, die uns umgibt und in der und für die wir Kirche sind, nachdenken sollten und sie zu verstehen versuchen. Diese Blickrichtung möchte ich stärken und dann werden die Menschen auch nicht mehr fragen, wer die alt-kath. Kirche mit diesem doppeldeutigen Namen ist, sondern wie diese Menschen unsere Gedanken über unsere Gesellschaft einschätzen, ob sie diese ablehnen oder unterstützen. Und dann werden diese Menschen auch wahrnehmen, aus welcher christlichen Motivation heraus wir unsere Vorschläge vorbringen. Das wäre dann ein Dialog mit der Welt. Und der könnte uns nicht schaden.


Reaktionen erwünscht: brunohessel@freenet.de

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… und den Herdenbrief.

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