Herdenbrief zur Vorbereitung auf die 64. Synode und die Debatte um das Selbstverständnis unserer Kirche

Woher kommen wir? Wer sind wir? Wofür stehen wir? – Eine Standortbestimmung 

Alt-Katholische Kirche – unser Selbstverständnis
Immer wieder diskutiert die Synode den Namen unserer Kirche. “Passt der Name ‚alt-katholische Kirche‘ zum Selbstverständnis unserer Kirche?” Werden die Grundbotschaft und die Werte unserer Kirche durch diesen Namen erkennbar oder sind die drei Begriffe in unserem Namen: “alt”, “katholisch” und “Kirche” in der heutigen Zeit so negativ besetzt, dass sie auf Suchende eher abschreckend als einladend wirken?

Wir möchten diese und weitere Fragen zu unserem Selbstverständnis auf der 64. Synode vertiefend diskutieren. Dabei soll es zunächst nicht um den Namen gehen, sondern wir möchten klären, ob sich die Synode auf einen Grundkonsens zum Selbstverständnis unserer Kirche verständigen kann, der unsere Kirche für andere erkennbar macht.

In der Tradition der ersten Alt-Katholiken haben wir in diesem “Herdenbrief” beschrieben, was für uns die Begriffe “alt”, “katholisch” und “Kirche” bedeuten und was für uns unsere Kirche von anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften unterscheidet, was ihr spezifisches Markenzeichen ist. Das versuchen wir beim Suchen nach Antworten auf die drei Fragen: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wofür stehen wir? Dieser Herdenbrief beschreibt somit aus unserer Sicht Eckpunkte für einen Grundkonsens, der in einem mehrschrittigen Prozess entwickelt wird. Dann wird sich zeigen, ob der Name zu diesem Selbstverständnis passt oder ob er geändert oder ergänzt werden muss.

Woher kommen wir?
Wie ein großer Fluss hat die Kirche Quellflüsse und Zuflüsse. Das Flusssystem unserer Kirche wird insbesondere von mäandernden, nicht immer eindeutigen Quellflüssen[1] „Biblische Texte“ und „Traditionen der ‚alten Kirche‘“[2] sowie dem zentralen Zufluss „Werte der Aufklärung“ gespeist. Diese Werte werden in der Forderung der Französischen Revolution nach “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” zusammengefasst. Die Französische Revolution gehört zu den folgenreichsten Ereignissen der neuzeitlichen europäischen Geschichte. Sie markiert den Anfang vom Ende der feudal-absolutistischen Monarchien und steht für die Umsetzung grundlegender Werte und Ideen der Aufklärung, auch wenn sie selbst an der Umsetzung scheiterte.

Mit dem Begriff „Aufklärung“ wird eine Epoche bezeichnet, die gekennzeichnet ist durch das Vertrauen in die menschliche Vernunft als entscheidende Quelle der Erkenntnis, als Richtschnur menschlichen Handelns und – neben dem Glauben – als Maßstab aller Werte. Besonders zu nennen sind hier die Menschenrechte. Zu den Menschenrechten gehören bürgerliche und politische Freiheits- und Beteiligungsrechte, unter anderem das Recht auf Leben, das Verbot der Folter, die Religions-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit, die Freiheit der Wissenschaft und die Gleichheit vor dem Gesetz. Die Aufklärung mit den Idealen der Vernunft und der Menschenrechte hat das moderne Demokratieverständnis in Europa entscheidend beeinflusst. Sie hat die Selbstverständlichkeit von Kirche und Religion in Frage gestellt und die Kirche entmachtet und enteignet[3]

Die Ideen der Aufklärung führten 1848 in den deutschen Ländern zur Bildung der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Nicht nur Ignaz von Döllinger[4], sondern viele weitere liberal gesinnte Katholiken waren Abgeordnete in diesem ersten deutschen Parlament, das das absolutistische System durch ein demokratisches ersetzen wollte. Alle Menschen sollten die gleichen Grundrechte erhalten. 

Wer sind wir?
Selbst die römisch-katholische Geschichtswissenschaft[5] kommt zu dem Ergebnis, dass Pius IX und die ihn stützenden Kräfte in der katholischen Kirche das Ende der Fürstenherrschaft nicht als Chance, sondern als Bedrohung für die Kirche sahen. Statt die katholische Kirche im besten Sinne des Katholischen für die Moderne zu öffnen, die Menschenrechte zu stärken und für die Zukunft der Kirche auf die Geistkraft der unterschiedlichen Katholizismen zu setzen, wurden die Beschlüsse des Konzils von Trient (1545–1563) umgedeutet, das “ordentliche Lehramt des Papstes” erfunden und die Grundprinzipien der Aufklärung mit dem Syllabus errorum als die “Grundirrtümer unserer Zeit” verdammt. Das Dogma der Unfehlbarkeit und die Entscheidung über die päpstliche Jurisdiktion beendete die Vielfalt und die Ambiguität[6] des Katholischen. Die “Einheit der Kirche” unter seiner Führung war das zentrale Ziel des Papstes. Gottes Weite und Unergründlichkeit[7] wurde eingehegt, Ökumene wurde unmöglich.

Gläubige, die diesen neuen Lehren der katholischen Kirche widersprachen und sie ablehnten, wurden aus der Kirche ausgeschlossen. Die Ausgeschlossenen wollten in Abgrenzung zu der von Rom geschaffenen ‚neuen‘ Kirche die alte katholische Kirche erhalten und schufen aus Not in einem synodalen Prozess ‚das Katholische Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland‘[8]. Dieses öffnete sich der Moderne und übernahm auf der Glaubensgrundlage der ‚alten Kirche‘ die Ideen der Aufklärung. Das Katholische Bistum der Alt-Katholiken wird zu einer offenen, liberalen und sozialen Kirche, die – geprägt durch die Ablehnung des Ultramontanismus – den nationalistischen Verlockungen nicht widerstehen konnte. [9].

Wofür stehen wir?
Als Christ*innen haben wir eine ‚Gute Nachricht‘ (Ευαγγέλιον) gehört und geben diese Gute Nachricht gerne weiter: In den Augen Gottes ist jeder Mensch gewollt und geliebt. Dieser Botschaft dürfen wir Hand und Fuß verleihen.

Aufgrund unserer Geschichte sind wir Alt-Katholik*innen dabei vielleicht in besonderer Weise den Werten der Moderne verpflichtet: Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit sowie Meinungs- und Gewissensfreiheit. Das sind Werte, die aus unserem Verständnis hervorragend die ‚Gute Nachricht‘ in die heutige Zeit übertragen; denn sie sind nach unserem Verständnis in der ‚Guten Nachricht‘ grundgelegt. So bringen wir als christliche Gemeinden die Werte der Französischen Revolution mit der Revolution des Christentums zusammen. 

Und wo hat sich das in der Geschichte unserer Kirche schon gezeigt?
Die Schaffung unseres Bistums durch eine Bewegung von unten, die bischöflich-synodale Struktur, die Gleichstellung aller Getauften und deren Berufung oder Wahl in Ämter und Funktionen aus ihrer Gemeinschaft, die Liturgiereform, mit der mündige Christ*innen aktiver Teil des in deutscher Sprache gefeierten Gottesdienstes wurden, die Aufhebung der Mess- und Beerdigungsgebühren, die Beendigung des Pflichtzölibats oder die Zulassung von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern bilden beispielhaft unsere Grundsätze ab. Dass wir keinen Unterschied machen zwischen gleichgeschlechtlich und verschiedengeschlechtlich Liebenden, ebenso.

Autorenschaft:
Vorbereitungsgruppe bestehend aus Vertretungen der Gemeinden Baden-Baden, Offenburg, Heidelberg, Mannheim, Landau, Karlsruhe und Saarbrücken.

Nächste Schritte:
Wir möchten während des geplanten Halbtags auf der Synode in kleinen Arbeitsgruppen (zwischen 10 und 15 Personen) diesen Text anhand der folgenden Fragen diskutieren:

Leitfragen für die Arbeitsgruppen in der Synode:

  • Können Sie dem Text grundsätzlich zustimmen? Oder lehnen Sie ihn eher ab?
  • Welche Werte sind für Sie bestimmend? Welche Werte fehlen Ihnen? Welche Werte oder Bezüge in diesem Text sind für Sie problematisch?
  •  Welche Quellen und Zuflüsse gibt es für Sie noch? Woher kommt unsere Kirche Ihrer Meinung nach? 
  • Inwieweit kann der Name „alt-katholisch“ diese Werte bündeln? Welchen Zusatz zu unserem Namen könnte die Marke “alt-katholisch” verstärken?

Die Vorbereitungsgruppe ist der Auffassung, dass diese offene Diskussion über das Selbstverständnis unserer Kirche durch den geplanten Halbtag auf der Synode 2024 begonnen und nicht beendet wird. Deshalb stellen wir als Synodale unserer Gemeinden folgenden

Antrag an die Synode:
Die Synode möge beschließen: „Die Vorbereitungsgruppe – gerne ergänzt um weitere Personen aus anderen Dekanaten – wird von der Synode beauftragt, die auf der Synode erhaltenen Antworten und weitere Fragen zu strukturieren und zu bewerten. Die Vorbereitungsgruppe soll ein Jahr nach der Synode (Oktober 2025) den Gemeinden einen Zwischenbericht vorlegen und der nächsten Synode (2026) das weitere Vorgehen vorschlagen.“


[1] Christian Oeyen, Denkbewegungen – Gesammelte Aufsätze zur alt-katholischen Theologie, Alt-Katholischer Bistumsverlag, Bonn 2004

[2] Urs Küry, Die Alt-Katholische Kirche – Ihre Geschichte – Ihre Lehre – Ihr Anliegen, Die Kirchen der Welt, Bd. 3, Evangelisches Verlagswerk, Frankfurt/M 31982

[3] Günter Eßer, Theresa Hüther, Vorgeschichte und Entstehung des Alt-Katholizismus in Deutschland. Ereignisse – Entscheidungen – Konsolidierung, Alt-Katholischer Bistumsverlag, Bonn 2023

[4] Erentrud Kraft, Die Frankfurter Paulskirche, das Jahr 1848 und Döllinger, in: Ignaz von Döllinger zum 125. Todestag – Spurensuche – Schlaglichter auf ein außergewöhnliches Leben hrsg. von Elisabeth Bach, Angela Berlis, Siegfried J. Thüringer, Alt-Katholischer Bistumsverlag, Bonn 2015

[5] Vgl. beispielsweise Hubert Wolf, Der Unfehlbare – Pius IX und die Erfindung des Katholizismus im 19. Jahrhundert, C.H.Beck-Verlag, München 2020

[6] Thomas Bauer, Die Vereindeutigung der Welt – Über den Verlust von Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Reclams Universal-Bibliothek, Ditzingen 2018

[7] Andreas Krebs, Gottes Verheißung, Gottes Scheitern – Eine Theologie im Horizont der offenen Gottesfrage ausgehend von der Namensoffenbarung JHWHs in Exodus 3, 14, Herder-Verlag, Freiburg 2021

[8] Angela Berlis, Frauen im Prozess der Kirchwerdung – Eine historisch-theologische Studie zur Anfangsphase des deutschen Altkatholizismus (1850-1890), Peter Lang – Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt 1998

[9] Matthias Ring, „Katholisch und deutsch“ – Die alt-katholische Kirche Deutschlands und der Nationalsozialismus, Alt-Katholischer Bistumsverlag, Bonn 2008

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